Selvaggio Blu – Blau. Wild. Unvergesslich.
Ein Hauch von Wildnis, eine Prise Wahnsinn – mein Selvaggio Blu-Abenteuer (22.–26. April 2025), das ich mit euch teilen möchte.
Fünf Tage auf Sardiniens anspruchsvollstem Pfad – mit Ziegen, Geschichten und erstaunlich wenig WLAN.
Es gibt Reisen, die plant man mit kühlem Kopf. Und dann gibt es den Selvaggio Blu. Gebucht in einem Moment überschäumender Abenteuerlust – irgendwo zwischen einer Tasse Espresso und der realitätsfernen Vorstellung, man sei fitter, als man ist, genau 14 Tage vor Beginn des Abenteuers in den Bergen der Ogliastra.
Wir sprechen jetzt von dem „traditionellen Selvaggio Blu“, dem Weg über das Wilde Blau, der nicht im Kletterfieber endet, sondern der sehr sportlich über weißgraues Karstgestein entlang der Küste und des steilen Grates der Ogliastra führt.
Prolog: Die Ankunft in Baunei – zwischen Aperitivo, Pizza und Vorfreude
Baunei. Ein Dorf, das aussieht, als wäre es versehentlich zu weit nach oben gebaut worden. Der Empfang am Vorabend unserer Wanderung im Café Centrale war gleich herzlich. Unser Guide Ariano Barca – braungebrannt, humorvoll und mit mehr Wissen über sardische Hirten als Wikipedia – stellte die kommenden Tage vor. Für mich schon sprachlich eine Herausforderung, war die ganze Truppe italienischer Herkunft aus Rom, Mailand und Venezien. Wir werden zu sechst laufen: die drei italienischen Mädels (wesentlich jünger als ich), Ariano, unser Guide, sein guter Freund Luigi, ebenfalls aus Baunei, und ich.
Ich höre Begriffe wie „Panoramapfad“, „Hirtenhütte“ und „Aufstieg“. Niemand spricht von dem, was wirklich kommt: eine fünf Tage dauernde Auseinandersetzung mit der eigenen Belastungsgrenze. Wow!! Gut, ich hoffe, dass ich bezüglich meines Equipments perfekt vorbereitet bin (ich spreche z. B. von perfekten Wanderschuhen, medizinischer Ausrüstung, Nahrungsergänzungsmitteln, warmen Sachen für die Nacht, Powerbank, Licht etc.).
Der Abend endet nach der Pizza und der Illusion, man könne sich auf diese Tour vorbereiten, indem man besonders gut isst.
Tag 1 – Der Berg ruft. Mein Körper kontert.
Der Start war malerisch: Baunei noch im Rücken, schrauben wir uns den Hang, teilweise auf Wurzelholztreppen, empor, begleitet vom Duft der Macchia und der aufkommenden Frage: Ist das wohl fünf Tage in Folge möglich? Und reichen die Beine heute Abend bereits einen formlosen Rücktritt ein? Weitere Gedanken: Hoffentlich keine Blasen schon heute Abend … was gibt es wohl zum Abendessen bei den Hirten? Hunger …
Die archäologischen Felsgravuren bei Grutta e Janas geben uns einen ersten Einblick in eine Kultur, die offenbar gerne hoch oben lebte – vermutlich, weil es keine Alternative gab. Leider konnten wir diese nur auf dem Plakat bewundern, der Weg wird gerade neu instand gesetzt.
Nach dem ersten echten Anstieg dann der Lohn: ein Blick über den Golf von Arbatax, so schön. Wir schlagen uns durch duftende Macchia, vorbei an Wacholderbüschen, die sich wie sture Skulpturen in den Fels krallen, und erreichen schließlich die Hirtenhütte Ovile Us Piggius – ein Ensemble aus Wacholderhütte, Karstgestein, Geschichte und Ziegengeist. Dort machen wir Rast und verspeisen unser erstes Picknick: Brot, Käse, Oliven, ein Stückchen Sardinien in der Hand. Einfach, aber erstaunlich sättigend. Vielleicht ist es auch nur die fantastische Aussicht.
Doch wer jetzt denkt, das sei es für heute gewesen, wurde eines Besseren belehrt. Der Weg führt weiter – steiler, steiniger, schärfer. Auf schmalen Felsabbruchkanten geht es Richtung Punta Giradili, wo sich der Blick plötzlich weitet, wie ein aufgeschlagenes Buch: unter uns die schwindelerregende Steilwand, davor das Meer, und in der Ferne ragt Pedra Longa aus dem Wasser, als hätte Poseidon selbst seinen Spazierstock vergessen.
Erst gegen 18:30 kehren wir zurück zur Ovile Us Piggius, wo uns nun das lang ersehnte Abendessen am großen Holztisch erwartet – ein Fest der Einfachheit: regional, rustikal, üppig, einfach köstlich.
Wir schlafen diese Nacht im Gemeinschaftslager – was bedeutet: eng, warm, abenteuerlich. Wer nachts raus muss, braucht akrobatische Fähigkeiten und geschickte Füße, um nicht auf schlafenden Mitwanderern zu landen. Die Toilette? Draußen, irgendwo zwischen Wacholder und Ungewissheit. Komfort sieht anders aus – aber so fühlt sich echtes Erleben an.
Tag 2 – Himmel, Meer und ein unerwartetes Baden
Frühstück mit Blick aufs Nichts – außer Natur, dem nächsten Abstieg und dem folgenden Aufstieg. Der Weg führt uns über schroffe Kalksteine und gewaltige Muren zur Bucht Porto Quau. Das Wasser ist klar, türkis und einfach nur verheißungsvoll. Ich wage den Sprung hinein, obwohl meine innere Stimme laut ruft: „Du weißt schon, wie kalt das wird, oder?“
Es war sooo kalt. Aber auch herrlich! Die salzige Frische spült alle Zweifel weg, und ich fühle mich so lebendig – auch wenn meine Wade jetzt einen Abdruck von den Wanderschuhen trägt.
Nach der Mittagspause wartet der lange Anstieg zur Ovile Piras auf uns. Ein hartes Stück Arbeit, immer bergauf über Geröll und durch den dichten Steineichenwald, aber immerhin finden wir jede Menge spannende Fossilien. Hier muss früher Wasser gewesen sein. Gegen 16:00 Uhr fragt unser Guide mitfühlend, ob bei uns alles in Ordnung sei. Antwort aus der Gruppe: „Wir wollen nur noch ankommen!“
Aber es liegen noch 2,5 Stunden vor uns – stetig und steil bergauf. Zum Glück warten am recht kalten Abend ein Kaminfeuer und ein köstliches sardisches Abendessen auf uns. Heute schlafen wir alle in unseren Wurfzelten. Ich bin heilfroh über meinen warmen Schlafsack, meine Schlafmütze und meine Skiunterwäsche.
Heringe haben wir natürlich keine benutzt, weil … wer braucht schon Heringe, wenn ein starker Westwind mitten in der Nacht für das volle Zeltkino sorgt? Gegen 2:00 Uhr nachts pfeift der Wind so heftig, dass wir kurzerhand unser Zelt mit dem eigenen Körpergewicht am Boden halten. Abenteuerurlaub vom Feinsten!
Tag 3 – Ziegenblicke und göttliche Aussichten
Heute geht es zu Punta Salinas, einem Aussichtspunkt, der den Begriff „postkartenwürdig“ geradezu beleidigt. Von dort sehen wir auf die Cala Goloritzè. Der Mistral fegt alle Wolken weg, und Luft und Sicht sind kristallklar.
Der Abstieg führt durch einen Geröll-Canyon. Es war der Moment, in dem ich realisiere: Wenn diese Ziegen hier wirklich freiwillig herumlaufen, dann gebührt ihnen ein Preis für Lebensmut.
Ariano zeigt uns noch eine Höhle, zu erreichen über eine Wacholdertreppe: der Weg eine architektonisch beeindruckende, aber physisch zweifelhafte Konstruktion, bei der man sich fragt, ob sardische Hirten früher einfach keine Angst kannten oder schlicht keine Knieprobleme hatten.
Wir bleiben ungefähr zwei Stunden am Strand von Cala Goloritzé – baden nochmals mutig im eiskalten Wasser und sonnen uns kurz, bevor es wieder 560 Höhenmeter steil bergauf zum Camp Su Porteddu geht.
Wer denkt, dass hier der Tag schon gelaufen ist, liegt sowas von daneben! Es wartet nämlich nach dem Aufstellen der Zelte noch ein kleiner Spaziergang von etwa zwei Stunden – über die Golgohochebene. Also quasi ein winziges Dessert nach dem Hauptgang von heute: „760 Höhenmeter“!
Dabei bestaunen wir das tiefste Karstloch Europas (ja, so etwas gibt’s wirklich!), ein Steingesicht, eine wunderschöne Kirche und jede Menge Macchia – auch bekannt als „die italienische Antwort auf Dornröschens Hecke“.
Das Beste daran? Unsere Beine haben gerade so richtig Spaß an diesem „Abendspaziergang“. Puhhhh, wir sind komplett erledigt.
Und dann, im Camp Su Porteddu, das größte Wunder der gesamten Tour: eine warme Dusche! Ich dusche drei Minuten (mehr ist nicht erlaubt) und führe dabei tiefsinnige Gespräche mit dem Wasserhahn. Es ist eine emotionale Zeit – eine Herausforderung und ein bisschen Wahnsinn.
Danach wartet eine göttliche Käseplatte auf uns und nette Gespräche mit der Gruppe. Wir sind jetzt nicht mehr nur Wanderkumpels – wir sind verschwitzte, aber glückliche und wirkliche Freunde geworden.
Tag 4 – Macchia, Mystik und endlich funktionierende Muskeln
Am vierten Tag gab’s vor allem eins: endlose Weite. Wir wandern auf einsamen Pfaden mit Blick aufs Meer, umgeben von Rosmarin-, Thymian- und gelegentlichen Angstschweißwolken – besonders am Rand der Steilküste, wo es direkt hinunter zur Cala Biriala und dem türkisfarbenen Wasser geht. Kurz gesagt: Ich fühle mich wie ein Teil dieser wilden und bunten Landschaft – nur mit Sonnenhut.
Am Abend landen wir wieder bei einem Hirten, unsere Zelte stehen diesmal romantisch im hohen Gras. Ariano und Luigi schmeißen den Grill an – es gibt Fisch, den sie so zubereiten, als wäre es ein Ritual aus einer vergangenen Zeit. Vorab: zwei Variationen von Pulposalat mit sardischem Pane Carasau und Geschichten, die irgendwo zwischen Märchen und Memoiren liegen.
Seit dem zweiten Tag haben wir eigentlich immer Hunger, also verputzen wir alles mit Hingabe. Es wird dunkel, und Luigi sorgt am riesigen Steinkamin dafür, dass wir uns wohlfühlen – schön warm und glücklich.
Und dann? Dann glitzern die Sterne über uns wie Diamanten – und wir können uns nicht sattsehen.
Tag 5 – Der Weg nach Cala Sisine oder: Die Kunst, beim Wandern zu philosophieren
Der letzte Tag startet mit einem nicht enden wollenden Weg über scharfe Muren – wie ein fieses Puzzle für die Füße – vorbei an alten Ovilen (diesen Hirtenunterkünften aus Wacholder, die so tun, als wären sie schon immer hier). Natürlich immer mit der grandiosen Aussicht aufs Meer. Also, was will man eigentlich mehr?
Ach ja, vielleicht nicht so traurig sein, dass es der letzte Wandertag ist! Schon am Morgen hängen unsere Gesichter tiefer als unsere Rucksäcke. Aber hey, wir haben es fast geschafft – und unsere Muskeln haben sich inzwischen sogar schon an den Spaß gewöhnt. Wir könnten die nächsten Tage weiterlaufen!
Ariano führt uns noch zu einem alten Hirtenbrunnen, kunstvoll in den Karststein gemeißelt, mit einer Holzabdeckung, die aussieht, als hätte sie schon seit Jahrhunderten ihren Dienst getan – wahrscheinlich tut sie das auch. Und als krönenden Abschluss serviert er uns eine geheimnisvolle Tropfsteinhöhle: Su irgendwas – die Namen werden irgendwann zur Nebensache.
Wir dürfen die Höhle mit unseren Lampen erkunden. Plötzlich wird jeder von uns zum Höhlenforscher, und das Fotografieren nimmt kein Ende. Bis wir irgendwann so müde werden, dass wir nur noch den „FotoKoala“ machen – also sich einfach über einen Ast hängen lassen und chillen. Ein bisschen wie Faultiere, nur in Outdoor-Klamotten.
Danach geht’s noch stundenlang bergab über Geröll, unsere Beine führen ab jetzt private Gespräche mit jedem Schritt. Doch der Ausblick bei Punta Plummare ist majestätisch – einer dieser Momente, wo du gleichzeitig denkst: „Wow, ich liebe das Leben“, und „Hoffentlich sterbe ich jetzt nicht vor lauter Glück und Muskelkater“.
Endlich erreichen wir Cala Sisine, das Wasser ruft laut „Komm rein!“ – und ich springe kopfüber hinein. Glirrend kalt wie immer, aber einfach perfekt. Das Finale dieser epischen Tour: Kaffee und ein Dosenbier im Plastikbecher vom Strandkiosk. Noch nie hat ein lauwarmes Dosenbier so sehr nach Erlösung geschmeckt!
Die Rückfahrt mit dem Geländewagen über die Codula di Sisine ist holprig, wild, atemberaubend – eine Art sardischer Rollercoaster. Zurück in Baunei warten Pizza, Umarmungen und dieser leise Stolz in unseren Augen: Wir haben’s wirklich geschafft. Und das Beste? Wir würden es sofort wieder tun!
Epilog: Was bleibt?
Fünf Tage, 56 Kilometer, ca. 3.500 Höhenmeter und exakt zwei Seelenzustände: Erschöpfung und Glück. Der Selvaggio Blu ist nicht einfach ein Wanderweg – er ist ein intensives Gespräch mit Sardinien. Eins, das mit der Zeit in dir nachhallt, wie ein Lied, das du erst verstehst, wenn du es ganz durchgehört hast.
Würde ich es wieder tun? Jaaaa!!!!
Fragt mich gleich jetzt, in einer Woche. Oder nach dem nächsten Glas sardischen Weins.
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