Spannende Entdeckungsreise in die sündige Vergangenheit der Inseln
La Maddalena und Caprera und zum “Village Magique“
Der ehemalige All-Inklusiv Club Mediterranée (Club Med) auf Caprera, gelegen in der malerischen Bucht Cala Garibaldi, an der Strada Cala Garibaldi, in der Nähe von La Maddalena, Sardinien, bietet eine faszinierende Geschichte von Aufstieg und Niedergang. Diese Geschichte spiegelt nicht nur die Entwicklungen des Tourismus in der Region wider, sondern auch die Herausforderungen und Veränderungen, die solche Großprojekte mit sich bringen können.
Das Resort öffnete 1956, sechs Jahre nachdem die Club-Med-Idee auf Mallorca geboren wurde. Die Insel Caprera, Teil des La Maddalena-Archipels, wurde wegen ihrer unberührten Schönheit und ihrer abgelegenen Lage als idealer Standort für einen solchen Club angesehen. 50 Jahre später, im Jahr 2006, wurde der Club aufgrund eines geplanten Umbaus geschlossen. Es sollten neue Suiten (statt Strohhütten, Tukuls genannt) entstehen, da sich das Gebiet in erstklassiger Lage befindet. Über 200.000 EUR zahlte Club Med jährlich bis zum Jahr 2013 als Pacht für das Gelände. Der Umbau wurde jedoch nie durchgeführt. 2014 übergab Club Med die Anlage dem italienischen Staat. Die Pläne für ein modernes 5-Sterne-Resort wurden nicht weiterverfolgt.
Die Bungalows des Clubs mit ihren Schirmdächern (Strohhütten) stehen heute noch immer in der Bucht im Westen Capreras und schauen – sich selbst überlassen – wie Pilze zwischen der wuchernden Vegetation hervor.
Mit dem Club Med auf der westlichen Landzunge von der Insel Caprera wurde auf 889.000 qm damals eine ganz neue touristische Entwicklung angestrebt. Hier wurde nicht nur der Club mit seinen Strohdachhäusern, sondern auch die Freizügigkeit in Einklang mit der Natur gebracht.
Aber auch das Konzept des Massentourismus gewann zu dieser Zeit weltweit an Popularität und wurde durch die enorme Club Med – Anlage mit ca. 300 Räumen (Tukuls mit je einem Zimmer) umgesetzt. Es war ein 5-Sterne-Resort mit Restaurants, Lounge-Bar, Amphitheater, Spa, Sport- und Segelclub, Diskothek, Miniclub und Beachbar.
Trotz der Größe des Clubs wurde darauf Wert gelegt, ein touristisches Gebiet zu erschließen, das sich in die landschaftliche Region einfügt. Der Club Med wurde so konzipiert, dass alle Wege hinunter zum Meer im Herzen des Clubdorfes beginnen und sich durch 300 Wohneinheiten und die dichte Macchialandschaft bis zum Strand oder den Klippen schlängeln.
Diese Einrichtung bot den Einheimischen viele Arbeitsplätze und war in der Zeit von Mai bis Oktober geöffnet. Die restlichen Monate des Jahres wurde dieser Bereich der Insel geschlossen, um militärische Ausbildung zu ermöglichen.
Aber die Geschichte des Club Meds war noch in anderer Hinsicht bedeutungsvoll:
Im Volksmund sprach man von dem „sündigen Club Med“, dem „Village Magique“ auf Caprera.
Auf der nahegelegenen Nachbarinsel La Maddalena zeigten sich vor rd. sechzig Jahren die ersten Touristinnen in Bikinis und auch die sexuelle Befreiung hielt mit dem internationalen Tourismus Einzug in diesem Teil Sardiniens. Es gab erste lokale Etablissements. In keinem anderen Teil Sardiniens waren ab 1955 so radikale Änderungen der Bräuche zu beobachten, wie in La Maddalena.
In dem „Village Magique“ auf Caprera wurde der Bikini nach dem Baden ausgezogen und die Damen behängten sich mit einem bunten, über der Brust geknoteten, Sarong. So war es einfacher, hemmungslos mit dem anderen Geschlecht in Kontakt zu treten. Die Atmosphäre war tropisch, hawaiianisches Klima, Blumenkränze. Man trug Halsketten aus farbigen Plastikkugeln, deren Wert je nach Farbe variierte. Die Kugeln konnten als Banknoten für Einzahlungen in der lokalen Bank, für Einkäufe, in der Bar oder anderweitig als Zahlungsmittel verwendet werden.
Die Insel, die nach dem zweiten Weltkrieg immer noch verschlafen war, hatte zuvor nie die Gelegenheit gehabt, den Tourismus als Quelle eines Alternativ- oder Nebeneinkommens zum Militär- oder Staatseinkommen zu betrachten. Die wirtschaftlichen Vorteile des Tourismus, die das tägliche Überleben einiger tausend Menschen gewährleisten konnte, überraschten und überwältigten die Einheimischen. Trotz der anfänglichen Schwierigkeiten bei der politischen Umsetzung nahm der Tourismus bald eine bedeutende Rolle auf der Insel ein. Auch mit Hilfe ausländischer Manager wurde das Projekt vorangetrieben. Selbst die Errichtung der amerikanischen Basis für Atom-U-Boote hatte keinen Einfluss auf die weitere touristische Entwicklung.
Das Interesse am „Village Magique“ war so stark und die Entwicklung (aber besser wäre es, Revolution zu sagen) so stark, dass sie auch Auswirkungen auf die örtliche Jugend hatte.
Diese neue „Sommerwelt“ war äußerst angenehm. Die jungen Leute vor Ort, vor allem Studenten, aber auch Arbeiter, warteten seit jenem strahlenden Juli 1955 auf jede neue Saison und standen Schlange, um als Wartungsarbeiter, Hilfsköche, Kellner, Rettungsschwimmer, Geschirrspüler und als Verwaltungsmitarbeiter eingestellt zu werden. Ganz besonders praktisch war es, als Mitarbeiter des Club Meds, dort auch Unterkunft erhalten zu haben. So konnten die Mitarbeiter nach getaner Arbeit auch ihr eigenes Amüsement suchen. Hierzu konnten die Tukuls belegt werden, die zu diesem Zeitpunkt nicht gebucht waren und freistanden. „Die Glücklichen“ wurden also diejenigen Personen genannt, die im Club arbeiten durften.
Zu dieser Zeit war es auch für Gäste und/oder Mitarbeiter gebräuchlich, nächtliche Ausflüge hinüber nach La Maddalena zu machen. Die Piazza Umberto I war die angesagte Adresse, wo es einige Etablissements gab, um sich zu amüsieren. Es gab zwar offiziell strenge Razzien, diese scheiterten aber oft direkt hinter den Mauern und Türen, da die Wachen (Inselbewohner) bestechlich waren.
Mittags traf man sich in der Via Dandolo, nahe der Piazza Umberto I, wo man Fotografien des legendären Pensiero Bini bewundern konnte. Bini war der angesagte schwarz-weiß-Fotograf, der die Geschichte von La Maddalena und auch des Club Meds auf Caprera mitgeschrieben hat. Nacht für Nacht wurden die aktualisierten Fotografien auf einer Pinnwand öffentlich präsentiert.
Natürlich ließen die freizügigen Ereignisse der sündigen Inseln die katholische Kirche nicht kalt. Monsignore Salvatore Capula, der damalige Pfarrer der Insel La Maddalena donnerte von der Kanzel gegen die lasziven Bräuche der Inselbewohner, aber auch der Menschen, die aus Gallien nach La Maddalena gekommen waren. Der Pfarrer verkniff sich jedoch Aussagen über die enormen Bestechungsgelder, die für die Duldung der Stricher im Club auf Caprera in die Hauptstadt Rom flossen.
Es war das Jahr von Filmen wie „…denn sie wissen nicht, was sie tun“, „Das verflixte 7. Jahr“, „Racconti romani“. Das „Village Magique“ war für die Jugend von Maddalena wie Kino und Fortschritt zugleich.
Die Jahre vergingen für die Einwohner von Maddalena und es blieb nicht aus, dass nach einer gewissen Zeit in Maddalena die ersten Nacktbadenden an den Stränden lagen. Da es sich hierbei um eine Straftat gehandelt hat, wurde die erste Nacktbadende (Ilona Staller) vor das örtliche Amtsgericht bestellt. Der damalige Richter sprach die Diva nach langem Nachdenken frei, weil aufgrund der rasanten Entwicklung und Änderung der Inselbräuche völlige Nacktheit, sofern sie nicht absichtlich provoziert wurde, nicht mehr als Erregung öffentlichen Ärgernisses verstanden werden konnte. Er erklärte, dass, wenn das gleiche Verhalten in einer anderer Region Sardiniens begangen worden wäre, es sich hier zweifellos um ein Verbrechen handeln würde. Nicht jedoch in Maddalena mit Club Med und seinem Tourismus.
Auch Mischehen zwischen Einheimischen und ausländischen Touristen waren keine Seltenheit. In kurzer Zeit war der Club Med ins Blut, in die Köpfe und in die Eingeweide aller Inselbewohner gelangt. Und Club Med revanchierte sich bei La Maddalena, indem er zum bedeutendsten internationalen Sponsor (u.a. auch für die Bewahrung des Andenkens an den italienischen Freiheitskämpfer Garibaldi) wurde.
Der örtliche Pfarrer musste am Ende den Kopf beugen und loslassen: Die heilige Maria Magdalena, Schutzpatronin der Insel – so hieß es – könne niemandem zwingen. Und für Reue wäre immer Zeit.
Übernachten kann man auf Caprera nicht, oder besser: seit 2006 nicht mehr.
Heute ist das „Village Magique“ ein geschichtsträchtiger Lost Place im türkisfarbenen Paradies.
Alle Fotos: Copyright Sabine Lenbach